1813 dann kam er in den Besitz der Geschwister Antonio und Catarina Salvi. Zwischen hohen Buchen, Weiden und Magnolienbäumen stehen Kopien berühmter Statuen, zum Beispiel der Ercole Farnese, aber auch ein Denkmal für Giangiorgio Trissino (1478-1550), ein berühmter Gelehrter und Schriftsteller seiner Zeit, der den jungen Palladio mit der Adelswelt bekannt gemacht und ihm so zu Aufträgen verholfen hatte. Fröhlich wirkt der  Brunnen mit drei weißen, geflügelten Pferden. Doch ein wahres Kleinod ist die Loggia Valmarana, in dorischem Stil von einem Schüler Palladios errichtet. Die Fassade dieses Gebäudes, das einem kleinen Tempel gleicht, blickt auf den schmalen Flusslauf, der den Giardino umfasst. Ich verlasse den Park durch das monumentale Tor und befinde mich auf der Piazza del Castello, die von dem trutzigen mittelalterlichen Turm des einstigen Castellos bestimmt wird, das im 18. Jahrhundert zerstört wurde.

Hier begrüße ich Garibaldi und blicke erstaunt auf den Palazzo Breganze, eher ein Fragment eines Palastes, denn von den acht geplanten Säulen stehen nur drei. Warum dieser Palast Palladios, der übrigens „Ca’ del diavolo“ genannt wird, weil sich in der Nähe ein Bordell befand, nicht zu Ende gebaut wurde, weiß man  nicht. Am Corso Palladio reihen sich  nun die Paläste des berühmten Architekten. Immer wieder staune ich, wie es ihm gelang, in so engen Straßen so großartige Bauwerke zu errichten. Plötzlich ragt eine gewaltige grüne Kuppel in eine der schmalen Gassen. Sie gehört zum Dom, der nach Plänen von Lorenzo Bologna 1482 gebaut wurde, jedoch  zunächst unvollendet blieb. Erst 80 Jahre später wurde er fertiggestellt.

Auf meinem Spaziergang erfahre ich übrigens auch, dass Vicenza eine città romana ist. Im Kellergeschoss des Palastes Trissoni-Baston, 1592 von Scamozza errichtet, entdeckte man Überreste des römischen Forums aus dem späten 1. Jahrhundert vor Chr. und dem frühen 1. Jahrhundert nach Chr. Ich  biege in eine Seitenstraße ein und stoße auf den gewaltigen gotischen Backsteinbau der Kirche San Lorenzo aus dem 13. Jahrhundert. Beeindruckend ist das Portal dieser Kirche, das von dem venezianischen Architekten Andriolo de Santi geschaffen wurde. Die finanziellen Mittel dazu hatte Nano, der Ratgeber von Cangrande della Scala, gestiftet, wie er in einem Testament darlegte. Er wollte damit seine  Missetaten als Wucherer wiedergutmachen. In der Lunette wird er als reuiger Sünde kniend zu Füßen der Maria dargestellt.

Auf dem Corso Antonio Fogazzo – eine Gasse, die sich entlang der Kirche erstreckt – ist ein Trödelmarkt aufgebaut, wo, wie überall, von Kleidung über Schmuck bis zu Geschirr und Möbeln alles Erdenkliche angeboten wird. Hier in einem Café bestelle ich einen Espresso und eine kleine süße Köstlichkeit, schaue den Leuten zu, welche die Bilder und Skulpturen, Bücher und Spiegel der Händler drehen und wenden. Und hier, in dieser Gasse, begegne ich wieder der Familie Valmarana. In seinem Testament von 1487 hatte ein Stefano Valmarana sein Haus, seinen Hof und seinen Gemüsegarten erwähnt, die sich an der Stelle befanden, wo Palladio dann hundert Jahre später den Palast Valmarana entwarf. Sein Plan musste jedoch schon allein deshalb geändert werden, weil die Straße hier eine Biegung machte. Lange betrachte ich die  Fassade: ein anmutiges Relief über dem Eingangsportal zeigt zwei halb liegende Frauenfiguren mit hohen Flügeln. In einer Inschrift darüber wird mitgeteilt, dass Kaiserin Maria von Österreich 1581 mit ihrem Gefolge in diesem Palast zu Besuch war. 1960 verkaufte übrigens die Familie Valmarana diesen Palast, der im 2. Weltkrieg, außer der Fassade, stark zerstört worden war, an Vittor Luigi Braga Rosa, der ihn restaurieren ließ.

Und nun, endlich, gelange ich zur Piazza dei Signori, diesen großzügigen, weiten Platz – so wohltuend nach den engen Straßen und Gassen. Und hier steht Palladios eindrucksvollstes Gebäude: die doppelstöckigen Loggien, die den  mittelalterlichen Palazzo della Ragione, das Rathaus also, der Basilika genannt wurde, umschließen. Der Begriff Basilika hat jedoch nichts zu tun mit den frühchristlichen Kirchen; Palladio nahm sich die antiken Bauten nur als Vorbild. Wahrscheinlich verdankte er Trissino den Auftrag. Die Fertigstellung seines berühmtesten Bauwerkes erlebte Palladio nicht mehr.  Ich habe die Wahl zwischen all den Cafés, Bars und Restaurants hier auf der Piazza. Ich entscheide mich für ein Café  mit direktem Blick auf die leuchtend weiße Basilika und die Weite des Platzes. Bei einem Aperol Sprizz genieße ich die Sonne und die Harmonie der Architektur. Die Piazza dei Signori hat ein weiteres Werk Palladios zu bieten: die rosafarbene Loggia del Capitaniato. Überraschend die unterschiedliche Gestaltung. Säulen und Dekor bestimmen die Haupt -und Seitenfassade, auf welcher der Sieg der Venezianer über die Türken in der Schlacht bei Lepanto dargestellt wird. In großem Gegensatz dazu die schlichte Fassade auf der gegenüberliegenden Seite. Aufmerksam  betrachte ich dann die zahlreichen Schmuck-, Gold- und Uhrenläden im Erdgeschoss des Palazzo und  betrete, sehr neugierig geworden, das erste Schmuckmuseum Italiens.

Die Augen gehen mir über beim Anblick all der funkelnden Colliers, Diademe, Armbänder und Ringe. Ich blicke auf phantastischen Korallenschmuck und eine Vielzahl von Kamee-Broschen. Im ersten Stock sind die Exponate in den Vitrinen nach Themen geordnet, wie Symbol, Funktion oder Zukunft oder Ikone. Hier werden auch Schmuckstücke aus vorchristlicher Zeit gezeigt. Fast etwas benommen von so viel Geglitzer betrete ich wieder die Piazza und bummle weiter zum  Teatro Olimpico. Neben der Basilika und der Loggia für mich der Höhepunkt meines Besuches in Vicenza. Ein verträumter Garten mit lebensgroßen Skulpturen bereitet keineswegs auf die schmalen und niedrigen Gänge im Theater vor, die zum Zuschauerraum führen. In kurzer Zeit konnte damals mit dem Bau begonnen werden, weil Palladio sich schon Jahre zuvor mit dem römischen Theater befasst hatte. Die Fertigstellung erlebte er allerdings auch nicht mehr. Besonders eindrucksvoll finde ich die überaus reich verzierte Bühnenwand mit ihrem Triumphbogen, den drei Straßenfluchten, aber auch mit ihren zahlreichen Figuren in den Nischen. Diese Statuen stellen übrigens Mitglieder der Olympischen Gesellschaft dar. Ich setze mich in eine der ansteigenden Sitzreihen, blicke auf die Säulen und die Figuren hinter mir, auf den hellblau bemalten Himmel über mir und wünsche mir sehr, hier einmal eine Aufführung zu erleben.

 

Nuernberg, 19.04.2016                                                                
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